Erneute Verschärfungen bei Steuerhinterziehungen durch die Rechtsprechung
Nicht nur der Gesetzgeber sieht sich angesichts der prominenten Fälle in den Medien (Zumwinkel, Hoeneß etc.) dazu veranlasst, bei den die Steuerhinterziehung betreffenden Vorschriften „nachzubessern“. Ob diese Nachbesserungen bzw. Verschärfungen förderlich sind, ist heftig umstritten.
Ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung wurde nach ständiger Rechtsprechung in manchen Fällen erst ab einem Hinterziehungsbetrag von EUR 100.000,00 angenommen. Diese Rechtsprechung sah der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit seinem Urteil vom 27.10.2015 – 1 StR 373/15 als nunmehr überholt an. Die Entscheidung mag entsprechend dem Gesetzeswortlaut konsequent sein; für den Betroffenen und dessen Verteidiger dürfte die Verteidigung dadurch um ein Vielfaches erschwert worden sein.
Der Bundesgerichtshof entschied in dem genannten Urteil, dass das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 Abgabenordnung nunmehr bei jeder Steuerhinterziehung über EUR 50.000,00 anzunehmen ist. Bislang kam das genannte Regelbeispiel nicht in allen Fällen zum Greifen, in denen ein Betrag von mehr als EUR 50.000,00 hinterzogen wurde. Vielmehr lag die Wertgrenze laut BGH, Beschluss v. 15.11.2011 – 1 StR 579/11 bei EUR 100.000,00, „wenn der Steuerpflichtige zwar eine Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) begeht, indem er eine unvollständige Steuererklärung abgibt, er dabei aber lediglich steuerpflichtige Einkünfte oder Umsätze verschweigt […] und allein dadurch eine Gefährdung des Steueranspruchs herbeiführt.“ Der Betroffene entging dem Regelbeispiel also immer dann, wenn zwar die Steuerhinterziehung aufflog, ein Vermögensverlust auf Seiten des Staats jedoch nicht eintrat.
Diese Rechtsprechung gab der BGH mit seinem jüngsten Urteil zum Nachteil des Betroffenen auf. Der BGH begründet seinen Richtungswechsel damit, dass § 370 Abs. 4 S. 1 AO für eine Steuerverkürzung lediglich eine nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig erfolgte Steuerfestsetzung fordert, nicht aber den Eintritt eines Vermögensverlusts beim Fiskus, sodass für etwaige Erleichterungen zugunsten des Täters kein Raum ist.
Bislang wurde also zugunsten des Täters eine Unterscheidung zwischen der bloßen Gefahr eines Vermögensverlusts und dem tatsächlichen Eintritt eines finanziellen Schadens beim Fiskus unterschieden. Im Falle einer bloßen Gefährdung entging der Täter einer Steuerhinterziehung der für ihn nachteiligen Strafrahmenverschiebung von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (anstatt Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe), wenn es nicht zu einem Vermögensverlust des Staates kam.
Aufgrund der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofs gilt nunmehr eine einheitliche Grenze, welche bei EUR 50.000,00 liegt, und zwar unabhängig davon, ob es zu einer bloßen Gefährdung kam oder zum tatsächlichen Eintritt eines Vermögensverlustes.
Als weitere Begründung für den Richtungswechsel des BGH führte dieser aus, dass die Vereinheitlichung der Wertgrenze von EUR 50.000,00 zu mehr Rechtssicherheit führe, weil sich die Differenzierung zwischen nicht erklärten Steuererhöhungsbeträgen und zu Unrecht geltend gemachten Steuerminderungsbeträgen sowie die auf Elemente des Erfolgsunrechts (Höhe des Steuerschadens) und auf Elemente des Handlungsunrechts (unterschiedlicher Gehalt des Handlungsunrechts) gestützte und deshalb schwierige Abgrenzung erübrigt, in welchen Fällen der niedrigere und in welchen Fällen der höhere Grenzwert gilt.
Selbstverständlich ist es im Falle einer unausweichlichen Strafrahmenverschiebung Aufgabe des Verteidigers, bei Eintritt eines bloßen Gefährdungsschadens eine Strafe im niedrigsten Bereich des Strafrahmens zu erzielen. Freilich gilt, wie bei allen Regelbeispielen, dass das Gericht trotz Vorliegen der Voraussetzungen des Regelbeispiels von einer Strafrahmenverschiebung absehen, d. h. die Indizwirkung des Regelbeispiels verneinen kann, wenn besondere strafmildernde Umstände vorliegen, die die Regelwirkung entkräften, sodass wieder auf den normalen, d. h. niedrigeren Strafrahmen zurückzugreifen ist. Da diese Umstände jedoch für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so stark ins Gewicht fallen müssen, dass sie bei einer Gesamtabwägung aller Umstände die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften und eine Anwendung des dadurch bedingten erhöhten Strafrahmens unangemessen wäre, ist vor allem eine geschickte Verteidigung durch einen Anwalt notwendig.
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