Notarielle Pflichten bei der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses nach § 2314 BGB
Wie das OLG Celle mit Beschluss vom 25. März 2021, Az. 6 U 74/20 nochmals verdeutlicht hat, ist der Notar, der ein Nachlassverzeichnis aufzunehmen hat, regelmäßig auch zur selbständigen Ermittlung der Nachlasszusammensetzung verpflichtet. Sofern sich ein Verzeichnis lediglich auf die Beurkundung von Angaben des Erben gegenüber dem Notar beschränkt, erfüllt dieses die gesetzlichen Anforderungen an ein notarielles Verzeichnis hingegen nicht.
Weniger eindeutig ist nach Ansicht des OLG Celle hingegen die Frage zu beurteilen, welcher Maßstab für die Durchsicht von Kontounterlagen anzulegen ist.
Der Entscheidung lag der Erbfall der Mutter beider Parteien zugrunde. Der Sohn wurde zum testamentarischen Alleinerben bestimmt, die Tochter machte Auskunftsansprüche als Pflichtteilsberechtigte durch Vorlage eines notariell aufgenommenen Verzeichnisses sowie Auskunft über mögliche „Vorschenkungen“ der Erblasserin geltend, § 2314 BGB.
Der Erbe beauftragte einen Notar mit der Aufnahme eines Verzeichnisses, in dem niedergelegt wurde, welche Angaben der Beklagte zum Nachlass der Erblasserin zum Zeitpunkt des Todes machte. Danach hat der Beklagte nach eigenen Angaben im Jahr 2017 eine Schenkung der Erblasserin in Höhe von EUR 50.000,00 erhalten. Außerdem heißt es, weitere Guthaben/Konten als die in dem Verzeichnis aufgeführten seien nicht vorhanden.
Später ergänzte der Notar zu separater Urkunde das „notarielle Nachlassverzeichnis“ durch die Erklärung des Beklagten, dass er andere Zuwendungen und Schenkungen zu Lebzeiten seiner Mutter als in dem Nachlassverzeichnis angeführt, nicht erhalten habe.
Nach Ansicht der Erstinstanz, des Landgerichts Hannover sei ein Notar kein Detektiv; ohne konkrete Anhaltspunkte müsse er nicht in alle Richtungen ermitteln. Der Notar habe nicht jede Barabhebung der Erblasserin in das Nachlassverzeichnis als mögliche Schenkung aufnehmen müssen. Zu berücksichtigen sei auch, wie transparent der Erbe von Anfang an hinsichtlich der Darstellung des Nachlasses vorgegangen sei.
Gegen dieses Urteil wendet nun sich die Klägerin mit ihrer Berufung zum OLG Celle. Sie ist der Ansicht, das Nachlassverzeichnis erfülle die gesetzlichen Anforderungen des § 2314 BGB nicht. Einige Konten der Erblasserin seien dort gar nicht wiedergegeben worden, weil sie der Beklagte dem Notar nicht bekannt gegeben habe. Nicht ausreichend sei, dass der Beklagte nach dem Hinweis der Klägerin versucht habe, Erklärungen zu diesen Konten abzugeben. Sie lege aber Wert darauf, dass insoweit der Notar die Verantwortung übernehme. Dieser habe Informationen von Seiten der Banken einzuholen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem OLG Celle hat der Beklagte der Klägerin eine umfassende unwiderrufliche Vollmacht erteilt, selbst Auskünfte bei der Bank einzuholen. Die Klägerin sah sich am Ziel, ihr genügte es, dass sie die Nachforschungen nun selbst anstellen konnte. Im Anschluss daran haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, das OLG Celle musste also nur noch über die Kosten entscheiden. Die Kostenentscheidung wiederum richtet sich nach dem wahrscheinlichen Obsiegen bzw. Unterliegen der Parteien. Insoweit ist die Entscheidung auch für andere Pflichtteilsberechtigte relevant.
Das Verfahren endete so gesehen „unentschieden“:
Einerseits gab das Gericht der Klägerin Recht. Nach ständiger Rechtsprechung soll das notarielle Nachlassverzeichnis gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft bieten als ein privates Verzeichnis, welches der auskunftsverpflichtete Erbe erstellt hat. Dazu ist es erforderlich, dass es von der Amtsperson selbst erstellt wird und diese nicht lediglich die Erläuterungen des Erben protokolliert und beurkundet. Der Notar ist dabei regelmäßig auch zur selbständigen Ermittlung der aufzunehmenden Gegenstände und Forderungen berechtigt und verpflichtet, er muss zudem durch eine Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringen, für den Inhalt verantwortlich zu sein. Ein Verzeichnis, das sich inhaltlich lediglich auf die dem Notar seitens des Erben vorgelegte Auflistung beschränkt und nicht eine eigenständige Feststellung des Notars dazu enthält, dass weitere Nachlassgegenstände nicht vorhanden und weitere Verbindlichkeiten nicht festzustellen seien, erfüllt daher die Anforderungen nicht.
Gemessen daran, so das OLG, erfüllt das vorliegende notarielle Nachlassverzeichnis und dessen Ergänzung nicht den Anspruch der Klägerin. Beide Urkunden enthielten im Wesentlichen lediglich eine Beurkundung einer Erklärung des Beklagten. Beim notariellen Nachlassverzeichnis geht es aber nicht um die Beurkundung einer Willenserklärung im Sinne von §§ 6 ff. BeurkG, sondern um einen Bericht über eigene Wahrnehmungen des Notars im Sinne von § 37 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BeurkG.
Zwischenergebnis: Aus unserer Erfahrung lässt sich sagen, dass die Mehrzahl der von uns geprüften notariellen Verzeichnisse an genau diesem Fehler leiden. Es lohnt sich also, genauer hinzusehen.
Im entschiedenen Fall waren vier Konten der Erblasserin in dem notariellen Nachlassverzeichnis unerwähnt geblieben. Hätte der Notar seine Pflichten bei der Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses ernst genommen, sich nicht allein auf die Angaben des Beklagten verlassen, sondern eigene Ermittlungen angestellt, und zwar diejenigen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde, hätte er nach weiteren Konten fragen müssen und hätte aller Voraussicht nach die nunmehr bekannt gewordenen Konten in das Nachlassverzeichnis aufgenommen und sich (erst) damit seinen Gebührenanspruch „verdient“.
Dabei war es dem Notar nicht von vornherein verwehrt, das Wissen des beklagten Erben sowie das in seiner Person vorhandene Aufklärungspotenzial in der Weise zu nutzen, dass er den Beklagten auffordert, eigene Auskunftsansprüche gegenüber Geldinstituten bzw. sonstigen Dritten durchzusetzen.
Dennoch gab das OLG auch dem Beklagten in gewisser Weise Recht: Zum einen ist die Existenz der weiteren Konten im Laufe des Auskunftsersuchens bekannt geworden, die Klägerin hat also Kenntnis erlangt. Der Klägerin sind auch Unterlagen dazu bekannt geworden. Insoweit kann es nur noch darum gehen, die durch den Notar vermittelte Sicherheit insoweit zu bekommen. Der weitere Aspekt ist aber, dass die Anträge aus der Berufungsbegründung dahin gehen, dass der Notar hinsichtlich der vier Konten die Frage beantworten soll, ob sich aus der Einsicht in die Umsätze Hinweise auf Schenkungen usw. ergeben. Was der Notar genau tun soll, bleibt damit eher unklar. Soll er eine ihm an sich nicht obliegende Würdigung vornehmen, die die Klägerin, soweit ihr die Unterlagen vorliegen, auch selbst vornehmen kann?
Leider konnte es das OLG Celle dahinstehen lassen, inwieweit der Notar zur Durchsicht von Kontounterlagen verpflichtet ist, insbesondere um zu prüfen, ob im Verwendungszweck „Schenkung“ oder eine ähnliche Formulierung gebraucht ist, oder ob er die Kontoauszüge auf Auffälligkeiten überprüfen muss, die für eine Schenkung sprechen. Nach Ansicht des Gerichts dürfe zwar nicht aus den Augen verloren werden, dass § 2314 BGB es dem Pflichtteilsberechtigten ermöglichen soll, sich die notwendigen Kenntnisse zur Bemessung seines Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen. Die Pflichten des Erben und des Notars ließen sich aber in vielen Fällen nur im konkreten Einzelfall bestimmen. Allgemein gelte, dass die Verpflichtung des Erben zur Mitwirkung an der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses sich danach richte, in welchem Umfang diese Mitwirkung für die ordnungsgemäße Aufnahme des Verzeichnisses erforderlich sei.
Danach erscheint es dem OLG Celle vertretbar und angemessen, dass der Notar die Pflicht zur Durchsicht von Kontounterlagen auf den Erben delegiert, jedenfalls solange nicht der Pflichtteilsberechtigte bestimmte Auffälligkeiten benennen kann, die den Notar zu eigener Ermittlung insoweit veranlassen können. Es lässt sich aber nicht in allgemeingültiger Weise sagen, dass der Notar zur Durchsicht von Kontounterlagen in keinem Fall verpflichtet sein könnte.
Im Sinne einer Faustformel, so fasst es das OLG Celle zusammen, werde sich sagen lassen, dass die Pflichten des Notars umso weiter reichen, je konkreter die Hinweise des Pflichtteilsberechtigten auf pflichtteilsrelevante Vorgänge sind oder je mehr solche Hinweise sich aus Unterlagen oder sonst dem Notar bekannten Umständen ergeben. Rechtliche Würdigungen soll und darf aber der Erbe ebenso wie der Notar nicht vorwegnehmen.
Fazit: Es zeigt sich auch in diesem Sachverhalt wieder einmal, wie überaus wichtig es ist, die Aufnahme eines notariellen Verzeichnisses von Seiten des Pflichtteilsberechtigten mit möglichst „enger Leine“ zu begleiten und dem Notar möglichst frühzeitig Auffälligkeiten und Ermittlungsansätze aufzuzeigen. Je besser dieser Prozess begleitet wird, desto größer sind die Chancen auf eine effektive und zielführende Ermittlungstätigkeit des Notars.
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