Zurück zur Übersicht

Widerruf von Urlaub und der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB)

Ein für die Praxis wichtiges Urteil hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg am 27. Juni 2021 unter dem Aktenzeichen 7 Sa 359/20 erlassen.

Ein Arbeitgeber und Praxisinhaber hatte für den Osterurlaub seinen vier Mitarbeiterinnen eine Woche beantragten Urlaub genehmigt; die Praxis sollte geschlossen bleiben. Etwa zwei Wochen vorher wurde eine Mitarbeiterin positiv auf das Corona-Virus getestet, sodass es zu einer Quarantäne für die gesamte Praxis kam, die bis zum Beginn des genehmigten Urlaubes andauern sollte. Aufgrund dieses Umstandes widerrief der Praxisinhaber gegenüber seinen Mitarbeiterinnen den geplanten Urlaub mit der Begründung, er könne die Praxis nicht durchgehend für eine so lange Zeit geschlossen halten. Die Proteste seiner Mitarbeiterinnen beachtete er nicht, die sich daraufhin alle für den Zeitraum des zuvor genehmigten Urlaubs krankmeldeten und eine ärztliche Bescheinigung (AUB) vorlegten. Die hier betroffene Mitarbeiterin wurde daraufhin fristlos gekündigt und wehrte sich dagegen mit einer Kündigungsschutzklage.
Das zunächst zuständige Arbeitsgericht wertete schon die fristlose Kündigung als unwirksam. Zwar sei die Erschleichung eines Urlaubs unter Vorspiegelung einer tatsächlich nicht gegebenen Erkrankung grundsätzlich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Der Arbeitgeber habe aber den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttern können. Schon deshalb sei die Kündigung unwirksam.

Das hat das LAG in zweiter Instanz anders gesehen. Die konkreten Umstände, nämlich die gleichzeitige Krankmeldung mehrerer Mitarbeiterinnen genau für den ursprünglich vorgesehen Urlaubszeitraum, würden den Beweiswert einer solchen ärztlichen Bescheinigung erschüttern. Die Ärztin hatte zudem pandemiebedingt nur telefonisch beraten und konnte über die tatsächliche Erkrankung der Mitarbeiterin nichts aussagen. Die tatsächliche Erkrankung war damit nicht bewiesen.

Dennoch hielt auch das LAG die fristlose Kündigung für unwirksam, weil der Arbeitgeber hätte beweisen müssen, dass sich die Mitarbeiterin die Krankmeldung erschlichen hatte. Diesen Beweis konnte der Arbeitgeber nicht führen.
Als Zwischenergebnis kann also festgehalten werden, dass der an sich hohe Beweiswert einer AUB durch besondere Umstände erschüttert werden kann, wie sie hier bei der Erkrankung wegen des verweigerten Urlaubs, der gleichzeitigen Erkrankung aller Mitarbeiterinnen und der den genauen Urlaubszeitraum umfassenden Dauer gegeben waren.
Das LAG hat aber anlässlich des Falles auch entschieden, dass der Arbeitgeber nicht berechtigt war, den genehmigten und noch nicht angetretenen Urlaub einseitig zu widerrufen. Das Bundesurlaubsgesetz sieht einen solchen Widerruf nicht vor. Er ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur im Einzelfall zulässig, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass bei Nichtantritt der Arbeit außerordentliche Schäden für das Unternehmen drohen und dem Arbeitnehmer der Verzicht auf den Antritt des Urlaubs zum bewilligten Zeitraum zumutbar ist.

Diese Voraussetzungen werden selten vorliegen und waren auch im vorliegenden Fall bei einer Verlängerung der Praxisschließung für den Osterurlaub nicht gegeben. In der Folge hatte die Arbeitnehmerin deshalb für den Zeitraum des Urlaubs keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen der Erkrankung, sondern musste sich diesen Zeitraum als Urlaub anrechnen zu lassen. Das LAG hatte bekanntlich wegen des erschütterten Beweiswertes der AUB eine tatsächliche Erkrankung der Arbeitnehmerin nicht als erwiesen angesehen, andererseits aber auch den Nachweis, sich die AUB bewusst erschlichen zu haben – diesen Beweis hätte der Arbeitgeber führen müssen – nicht für erwiesen erachtet.