Wiederherstellung und weitere Nutzung des Fahrzeuges bei einem Totalschaden – Ausnahme von der 130-Prozent-Rechtsprechung
Der BGH hat mit Urteil vom 16. November 2021, Az. VI ZR 100/20 die bislang nicht höchstrichterlich entschiedene Frage beantwortet: Auch wenn nach einem Unfall im Gutachten ein Reparaturaufwand ermittelt wird, der über der Grenze von 130 Prozent des Wiederbeschaffungswertes liegt, darf das Fahrzeug repariert und der zur Reparatur letztlich erforderlich gewordene Aufwand geltend gemacht werden, wenn dieser unter der sogenannten 130-Prozent-Grenze geblieben ist. Damit kann vor allen Dingen Geschädigten im Besitz eines älteren Fahrzeuges geholfen werden, dessen Marktwert abgesunken ist, die ihr gut gepflegtes und gebrauchstüchtiges Fahrzeug aber durch den wirtschaftlichen Totalschaden nicht aufgeben möchten.
Die Voraussetzungen für dieses Überschreiten der Grenze von 130 Prozent des Wiederbeschaffungswertes, die der BGH als Grenze zur Unwirtschaftlichkeit einer Reparatur markiert hatte, ist aber an strenge Voraussetzungen gebunden. Das über diese Grenze gehende Gutachten ist dann nicht maßgeblich, wenn es dem Geschädigten gelingt, zum Beispiel durch die Verwendung von Gebrauchtteilen, günstigere Werkstattlöhne oder nachvollziehbar erklärten Rabatten, den Nachweis zu erbringen, dass billiger und insgesamt unterhalb der 130-Prozent-Grenze repariert werden konnte. Dabei muss aber im Ergebnis eine fachlich gleichwertige und dem Reparaturweg des Gutachtens folgende Reparatur erreicht werden! Sind diese Voraussetzungen – die vom eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherer sicher misstrauisch beäugt und gegebenenfalls auch überprüft werden – gegeben, so darf der Versicherer sich nicht auf die Bezahlung des Wiederbeschaffungsaufwandes beschränken, sondern muss die darüberhinausgehenden Reparaturkosten erstatten. Fällt noch ein merkantiler Minderwert für das Fahrzeug an, müssen Minderwert und Reparaturkosten innerhalb der 130-Prozent-Grenze liegen. Außerdem muss der Geschädigte das Fahrzeug weiterhin (mindestens sechs Monate) nutzen.
Wer auf diese Weise sein Fahrzeug vor der Abrechnung als Totalschadensfall bewahren will und entsprechende Reparaturmöglichkeiten findet, ist gut beraten, die Reparatur für den Fall einer späteren Überprüfung genau zu dokumentieren durch aussagekräftige Rechnungen, Teilerechnungen für gebraucht gekaufte Teile, Fotos der einzelnen Arbeitsschritte etc. Da dem eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherer naturgemäß daran gelegen ist, den günstigeren Wiederbeschaffungswert abzüglich des verbliebenen Restwerts zu regulieren, ist Streit vorprogrammiert. Diesen Weg der Schadensbeseitigung ohne Hilfe eines anwaltlichen Spezialisten im Verkehrsrecht zu beschreiten, kann nicht empfohlen werden.
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