Behindertentestament
Vorsorge für das Behindertentestament über den Tod hinaus
Zunächst ist der Begriff irreführend. Denn mit dem Begriff ist nicht das Testament des Behinderten beschrieben, sondern eine letztwillige Verfügung von Eltern, die ein behindertes Kind haben, das möglicherweise Leistungen der Sozialhilfe bezieht.
Ziel und Zweck des Testamentes ist dabei die Absicherung des Lebensstandards des behinderten Kindes über Sozialhilfeniveau.
Der Leitgedanke ist, das Familienvermögen in rechtlich unangreifbarer Weise dem Zugriff des Sozialhilfeträgers zu entziehen.
Somit ist eine Konstruktion für die Gestaltung zu wählen, welche unter Nutzung der erbrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten das Prinzip der Nachrangigkeit der Sozialhilfe berücksichtig.
So wird nämlich das Sozialhilferecht vom Gedanken der Vorleistungspflicht des Hilfsbedürftigen bestimmt, wonach die Gewährung von Sozialhilfe die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers voraussetzt. Das bedeutet, dass der Sozialhilfeempfänger dabei also grundsätzlich vorrangig sein eigenes Vermögen und Einkommen einsetzen muss. Hierunter fällt aber auch Vermögen, das der Behinderte geerbt hat. Gleiches gilt für Unterhaltsansprüche des Behinderten.
Schließlich ist auch zu beachten, dass Erben des Sozialhilfeempfängers für die Kosten der Sozialhilfe, die in den letzten zehn Jahren vor dem Tod des Hilfeempfängers entstanden sind, haften. Als Konsequenz für die Gestaltung des Behindertentestamentes folgt, dass die Nachlassbeteiligung des behinderten Kindes grundsätzlich so ausgestaltet sein muss, dass sie nicht auf Sozialhilfe angerechnet werden kann und die Nachlassbeteiligung des behinderten Kindes nicht von diesem weitervererbt wird. Dabei ist zu beachten, dass auch Pflichtteilsansprüche des Behinderten, unabhängig von dessen Entscheidung, vom Sozialhilfeträger auf sich übergeleitet werden.
Hieraus folgen Handlungsanweisungen für die Testamentsgestaltung, dass weder Pflichtteilsansprüche entstehen noch das ererbte Gut dem zeitlichen und späteren erbrechtlichen Zugriff des Sozialhilfeträgers ausgesetzt ist.
Für die Gestaltung des Behindertentestamentes bieten sich verschiedene Lösungsmöglichkeiten an. Allen Regelungen ist gemeinsam, dass zum Zeitpunkt des Todes das behinderte Kind seinen Erben Nachlass hinterlässt, der nicht zur Deckung der Kosten der Sozialhilfe eingesetzt werden muss, sowie eine Ausgestaltung der Nachlassbeteiligten des Behinderten, bei dem der Kern des Vermögens dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen ist.
Bei der häufigsten Gestaltungsvariante wird das behinderte Kind zum Erben mit einer Erbquote, die leicht oberhalb seines Pflichtteiles liegt, berufen, wobei das behinderte Kind nichtbefreiter Vorerbe ist.
Die Verwaltung des Nachlasses wird durch einen Testamentsvollstrecker bewirkt, welcher testamentarisch die Anweisung erhält, den treuhänderisch gebundenen Nachlass des behinderten Vorerben zu verwalten und dem Behinderten lediglich die Erträgnisse, d. h. beispielsweise Zinsen oder Mieterträgnisse, für die Deckung zusätzlicher, vom Sozialhilfeträger nicht übernommener Bedürfnisse zu verwenden. Der bei dieser Variante bestehende Nachteil einer Erbengemeinschaft unter Mitwirkung eines Testamentsvollstreckers kann bei der sogenannten Vermächtnislösung, bei welcher das behinderte Kind eine Nachlassbeteiligung nur in Form eines Vorausvermächtnisses erhält, vermieden werden.
Dem Einwand der Sittenwidrigkeit gegenüber dem Behinderten sowie dem sozialrechtlichen Nachrangigkeitsprinzip wurde vom Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen eine Absage erteilt. Denn maßgeblich ist nach Auffassung des BGH, dass die dem Behindertentestament zugrundeliegende Konstruktion innerhalb der Testierfreiheit des Erblassers liegt.
Dies Beurteilung wurde vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 19.1.2011, IV ZR 7/10, mit welcher eine bis dahin ungeklärte Rechtsfrage zu Gunsten des Behindertentestamentes entschieden wurde, ausdrücklich bestätigt.
Man kann also sagen, dass das Behindertentestament aufgrund der zitierten Entscheidung auf einem gesicherten rechtlichen Fundament ruht.
Die Ausführungen zeigen, dass das Erbrecht ein taugliches Instrumentarium für die Abfassung letztwilliger Verfügungen bei behinderten Kindern bereithält. Deren Ausgestaltung ist im Einzelfall aber sorgfältig unter Berücksichtigung der familiären Verhältnisse zu wählen und bedarf einer sorgfältigen und qualifizierten Beratung durch einen hierfür berufenen Fachanwalt für Erbrecht.
Peter Schäufele
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht und Versicherungsrecht
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