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Scheidungsklausel: Erbschein trotz notariellen Testaments?

Ein häufig genannter Vorteil eines notariell beurkundeten Testaments liegt darin, dass sich die Erben in der Regel ein unter Umständen langwieriges Verfahren auf Erteilung eines Erbscheins ersparen können. Ohne Erbschein oder eröffnetes notarielles Testament können die Erben keine Grundstücksgeschäfte erledigen. Allerdings kann nicht jedes notariell errichtete Testament oder Erbvertrag einen Erbschein ersetzen. Zahlreiche Oberlandesgerichte haben für einen besonders praxisrelevanten Fall eine Ausnahme gemacht und fordern zusätzlich einen Erbschein, obwohl ein notarielles Testament vorliegt. Dabei geht es um die sogenannte „Scheidungsklausel“ in einem Ehegattentestament. Eine solche liegt vor, wenn die Ehegatten etwa bestimmen, dass bereits der Antrag auf Scheidung oder Aufhebung der Ehe die Unwirksamkeit des Testaments zur Folge haben sollen. Nach der aktuellen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte München und Naumburg führt eine solche Klausel dazu, dass das Grundbuchamt eine Eintragung im Grundbuch von der Vorlage eines Erbscheins abhängig machen kann.

Interessanterweise folgt das Kammergericht (KG), das höchste Zivilgericht im Land Berlin, dieser Rechtsprechung wiederholt nicht, wie in dem Beschluss zu Az. 1 W 1463/20 vom 29. Oktober 2020 nachzulesen ist. Eine in einem öffentlichen Ehegattentestament enthaltene Scheidungsklausel vermag nach Ansicht des Kammergerichts für sich keine Zweifel an dem behaupteten Erbrecht zu begründen, die das Verlangen des Grundbuchamts nach Vorlage eines Erbscheins rechtfertigen könnten.
In dem zu entscheidenden Sachverhalt war der länger lebende Ehegatte zusammen mit seiner 2019 verstorbenen Ehefrau hälftige Miteigentümer im Grundbuch eingetragen. Die Eheleute errichteten ein notarielles Testament, worin sie sich gegenseitig zu „alleinigen Vollerben“ einsetzten. Unter IV. der Urkunde hieß es wörtlich:

„Für den Fall, dass unsere Ehe vor dem Tode eines Ehegatten aufgelöst oder Klage auf Aufhebung erhoben oder die Scheidung der Ehe beantragt wurde oder im Falle der Zustimmung zur Scheidung durch den Erblasser selbst, sollen die hier getroffenen Verfügungen ihrem ganzen Inhalt nach unwirksam sein, und zwar unabhängig davon, wer von uns beiden den Antrag auf Scheidung gestellt oder Klage auf Aufhebung erhoben hat.“

Nach dem Tod der Ehefrau hat der Ehemann unter Beifügung beglaubigter Ablichtungen des Eröffnungsprotokolls des Nachlassgerichts sowie des notariellen Testaments die Berichtigung des Grundbuchs beantragt, da er mit dem Erbfall Alleineigentümer des Grundstücks geworden war. Das Grundbuchamt hingegen hat unter Fristsetzung die Vorlage eines Erbscheins verlangt. Die Tatsache, dass die Ehe weder aufgelöst noch Scheidungsklage eingereicht wurde und damit das Testament unwirksam ist, lasse sich mit „grundbuchtauglichen Mitteln“ (also in öffentlicher Form) nicht nachweisen.
Das Kammergericht führt aus: Die Berichtigung einer unrichtigen Grundbucheintragung erfolgt auf Antrag, § 13 Abs. 1 GBO, wenn die Unrichtigkeit durch öffentliche Urkunden, § 29 GBO, nachgewiesen wird, § 22 Abs. 1 GBO. Bei Unrichtigkeit des Grundbuchs wegen des Todes eines Berechtigten ist der Nachweis der Erbfolge grundsätzlich durch einen Erbschein zu führen, § 35 Abs. 1 S. 1 GBO.
Beruht die Erbfolge aber auf einer Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, genügt es in der Regel, wenn an Stelle des Erbscheins die Verfügung und die Niederschrift über die Eröffnung der Verfügung vorgelegt werden, § 35 Abs. 1 S. 2 HS 1 GBO. Das Grundbuchamt hat eine solche Verfügung von Todes wegen dahin zu überprüfen, ob sich aus ihr das von dem Antragsteller behauptete Erbrecht ergibt. Es hat die Verfügung in eigener Verantwortung auszulegen, auch wenn es sich um die Klärung rechtlich schwieriger Fragen handelt. Die Pflicht zu eigener Auslegung entfällt allerdings dann, wenn für diese erst zu ermittelnde tatsächliche Umstände maßgebend sind.
Gemessen hieran ist das Kammergericht zu der Entscheidung gelangt, dass die bloße Möglichkeit des Eingreifens der Scheidungsklausel das notarielle Testament für Grundbuchzwecke nicht unbrauchbar macht. Denn, so das Gericht, entfernte abstrakte Möglichkeiten, die das aus der Verfügung hervorgehende Erbrecht nur unter ganz besonderen Umständen in Frage stellen, können das Verlangen nach Vorlegung eines Erbscheins nicht rechtfertigen. Das wird im Rahmen der in §§ 2268 Abs. 1, 2077 Abs. 1 BGB enthaltenen gesetzlichen Auslegungsregeln angenommen. Nach diesen Normen wird ein gemeinschaftliches Testament seinem ganzen Inhalt nach unwirksam, wenn die Ehe vor dem Tod des Erblassers aufgelöst worden ist oder der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes unter jeweils bestimmten weiteren Voraussetzungen die Scheidung der Ehe beantragt, ihr zugestimmt oder den Antrag auf Auflösung der Ehe gestellt hatte. Liegen keine konkreten Anhaltspunkte für eine Scheidung oder ihr gleichstellende Anträge vor, kann das Grundbuchamt keinen Erbschein verlangen. Ansonsten wäre verheirateten Personen ein Nachweis im Rahmen des § 35 Abs. 1 S. 2 GBO nicht möglich.
Im entschiedenen Fall ging die Scheidungsklausel – wie häufig – über die vorgenannten gesetzlichen Regelungen hinaus, verschärfte das Gesetzesrecht und erleichterte quasi das Eingreifen der Scheidungsklausel und damit das Eintreten der Unwirksamkeit des Testaments. Denn das gemeinschaftliche Testament sollte u.a. bereits bei einer Klage auf Aufhebung oder einem Antrag auf Scheidung der Ehe seinem ganzen Inhalt nach unwirksam sein. Nach den gesetzlichen Auslegungsregeln genügen entsprechende Anträge allein nicht. Zusätzlich müssen nach der reinen Gesetzesregelung die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe im Zeitpunkt des Todes des Erblassers gegeben sein, bzw. der Erblasser zur Zeit seines Todes berechtigt gewesen sein, die Aufhebung der Ehe zu beantragen.

Das Kammergericht hielt nach nochmaliger Prüfung an seiner früheren Rechtsprechung fest. Allein der Umstand hoher Scheidungsquoten ändere nichts daran, dass es auch bei einer Scheidungsklausel wie der vorliegenden konkreter Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit des Ehegattentestaments bedarf. Hohe Scheidungsquoten beruhen auf entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen, § 1564 BGB. Solche Quoten lassen aber nicht den Schluss auf entsprechend hohe Zahlen von Anträgen zu, in denen es letztlich nicht zur Scheidung gekommen ist, sei es etwa wegen Antragsrücknahme oder Erledigung durch den Tod eines der Ehegatten. Solche Verfahren bleiben in den Statistiken des Statistischen Bundesamtes unberücksichtigt (vgl. Genesis-online, Statistik 12631). Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass während einer bestehenden Ehe ein solcher Antrag einmal gestellt worden ist. Gleichwohl handelt es sich doch immer noch um nicht mehr als eine abstrakte Möglichkeit, die den durch § 35 Abs. 1 S. 2 GBO zum Ausdruck kommenden Wert eines notariellen Testaments nicht zu schmälern vermag.
Dass andere Oberlandesgerichte bei ähnlichen Klauseln anders gesehen worden ist, also ein Erbschein benötigt wird, überzeugt das Kammergericht nicht. Andere Oberlandesgerichte hatten vor kurzem argumentiert, Ehescheidungen kämen alles andere als selten vor, so dass die Stellung eines Antrags auf Scheidung keine ganz entfernte, bloß auf theoretischen Überlegungen beruhende Möglichkeit sei.

Es wird interessant sein zu sehen, ob sich andere Oberlandesgerichte dieser Rechtsprechung des Kammergerichts anschließen. Bei der Formulierung von notariellen Ehegattentestamenten ist diese Rechtsprechung unbedingt zu berücksichtigen. Sofern in den Nachlass Grundstücke oder sonstige Immobilien im Zuständigkeitsbereich verschiedener Oberlandesgerichte fallen, kann dies zur Folge haben, dass ein Erbschein für den gesamten womöglich sehr wertvollen Nachlass beantragt werden muss – und dies nur wegen eines der Grundstücke, für welches die Rechtsprechung aus Sicht des Erben ungünstiger ist. Da ein gegenständlich beschränkter Erbschein nicht erteilt werden kann (§ 1922 BGB), hat dies in einem solchen Fall u.U. immense Kosten zur Folge.